Hernien: Bei einem Akutereignis sollte man sofort in die Klinik fahren

Primarius Dr. Erich Willhuber, Leiter der Abteilung für Chirurgie in der Klinik Güssing, sprach in der "Radio Burgenland Sprechstunde" am 25. Juli 2024 mit ORF-Moderatorin Nicole Aigner über Hernien.

Hinter dem kaum bekannten medizinischen Fachbegriff „Hernie“ versteckt sich ein recht bekanntes Krankheitsbild, nämlich der sogenannte Bruch. Der Leistenbruch, eine Hernienart, ist das in der Bevölkerung am häufigsten vertretene Hernienbild. Man unterscheidet zwischen äußeren und inneren Hernien, dazu kommt ein Spezialgebiet von sehr seltenen Hernien. Zu den äußeren Hernien zählen unter anderem Leistenbrüche sowie Femoralhernien, auch Schenkelhernie genannt. Leistenhernien liegen über dem Leistenband, Schenkelhernien unter dem Leistenband in Richtung Oberschenkel. Letztere sind oft sehr klein, können aber sehr schmerzhaft sein. Außerdem zu den äußeren Hernien zählen Nabelhernien, Narbenhernien nach Operationen, spezielle Brüche im Bereich der Mittellinie des Oberbauches („epigastrische Hernien“) sowie Hernien im Bereich von künstlichen Darmausgängen („parastomale Hernien“).

Gut zu wissen: Hernien können sich nicht selbstständig zurückbilden. „Über kurz oder lang ist man also gezwungen diese zu versorgen – konservativ oder operativ“, erklärt Primarius Dr. Erich Willhuber, der Leiter der Abteilung für Chirurgie in der Klinik Güssing.

Ungefähr drei bis fünf Prozent aller Menschen sind einmal in ihrem Leben mit einer Hernie konfrontiert, Männer deutlich häufiger als Frauen. Erstere haben neun Mal so oft einen Bruch wie Frauen. Der Grund liegt in der physiologischen Bruchlücke bei Männern. Sie liegt im Bereich der Leiste, wo die Gefäße für den Hoden und der Samenstrang durchtreten. Durch schweres Heben im Beruf kann es passieren, dass eine Leistenhernie vermehrt auftritt.

Angeborene Hernien bei Frühgeborenen

Die gute Nachricht zuerst: Angeborene Hernien müssen nicht immer operiert werden. „Hernien bei Kindern treten hauptsächlich bei Frühgeborenen auf. Die Bauchdecke ist noch nicht vollständig ausgebildet und die Bruchlücke im Bereich des Nabels, wo die Nabelschnur einmündet und die Gefäße weggehen, ist in der Relation zur Körpergröße und zum Körpergewicht sehr groß“, weiß der Experte. Nabelhernien und Leistenhernien bei Frühgeborenen werden primär nur dann operiert, wenn es eine klinische Indikation gibt. „Wenn die Kinder wachsen, bildet sich in der Relation der Bruchring zurück.“ Leistenhernien werden öfter operiert. Nabelhernien erst später, außer es kommt zu einer Einklemmung des Darms oder inneren Netzanteile.

Anzeichen für Hernien

Man unterscheidet generell zwischen chronischen und akuten Hernien. Chronische Hernien entstehen langsam. Erstes Anzeichen ist oft eine kleine Vorwölbung. „Meist gibt es hier nur leichtes, dumpfes Ziehen oder ab und zu ein Brennen. Diese Hernien sind nicht akut operationswürdig“, verdeutlich Primar Dr. Erich Willhuber. Akute Hernien hingegen zeigen sich durch einen massiv einsetzenden, stechenden Schmerz, einen sogenannten Vernichtungsschmerz, der nur sehr schwer auszuhalten ist. Dabei kommt es zum Einklemmen von Darmanteilen bzw. des großen Netzes in die bestehende Bruchlücke. „Das ist ein sehr gefährliches, teilweise lebensbedrohliches Krankheitsbild, weil es hier zum Abklemmen des Darms kommen kann, einem Dick- oder Dünndarmverschluss, oder sogar, was noch gefährlicher ist, zum Abklemmen von Gefäßen“, warnt der Chirurg. Eine hämorrhagische Infarzierung (eine Form des Gewebeinfarkts) und sogar das Absterben des Darms können hier die Folge sein. „Bei einem Akutereignis gibt es nur einen Weg, nämlich den in die Klinik“, betont der Primar.

Meist reicht für die Diagnose einer Hernie eine sogenannte klinische Diagnose. Das bedeutet, der Arzt oder die Ärztin schaut sich den Patienten oder die Patienten genau an, macht eine Untersuchung und ein Anamnesegespräch. Erst bei Unsicherheiten erfolgt eine weitere Abklärung meist mit Ultraschall. „Das geht sehr rasch. Bei inneren Hernien ist die Diagnose nicht so einfach“, erläutert Primar Dr. Willhuber. Meistens handelt es sich bei inneren Hernien und Zwerchfellbrüche. Patienten haben oft diffuse Probleme, etwa Aufstoßen am Abend oder Schmerzen nach dem Essen oder Trinken. Der erste Weg ist hier eine Gastroskopie oder eine weiterführende CT-Untersuchung. Ist ein Zwerchfellbruch vorhanden, dann erfolgt eine weiterführende Abklärung, ob das Krankheitsbild mit konservativen Maßnahmen behebbar ist. Diese können eine Tablettentherapie, die Umstellung der Ernährung sowie eine spezielle Lagerung abends im Bett (leicht aufrecht) umfassen. In manchen Fällen müssen auch noch weitere Untersuchungen durchgeführt werden, beispielsweise eine PH-Metrie (eine Säuremessung) oder eine Manometrie (Druckmessung in der Speiseröhre). „Sind gewisse Parameter gegeben, kann man das operieren. Das nennt man Fundoplikatio“, erklärt der Experte. Und weiter: „Die OP wird laparoskopisch durchgeführt, in dem eine Magenmanschette angelegt wird und so verhindert wird, dass der Reflux, also das Zurückrinnen von Magensäure, in die Speiseröhre unterbunden wird.“

Genaue Abklärung wichtig

Chronische Hernien haben oft einen gewissen Vorlauf. Hier ist der allgemeine physische Zustand des Patienten oder der Patientin sehr wichtig (Übergewicht, Alter oder Verdauungsprobleme). „Bei länger bestehenden Verdauungsproblemen empfehlen wir auch eine Abklärung mit einer Darmspiegelung“, so der Chirurg. Und weiter: „Wir wissen, dass ein gewisser Prozentsatz dieser Patienten im Rahmen der Untersuchung oft mit einem Polypen oder, in selteren Fällen, mit einem bösartigen Tumor diagnostiziert werden. Würden wir die Hernie operieren, würden wir am wahren Problem vorbeioperieren.“

Waren vor einigen Jahren noch hauptsächlich offenen Operationsverfahren Standard, so ist heutzutage, mit der Einführung der Laparoskopie, die minimalinvasive Hernienchirurgie in den Vordergrund getreten. In der Klinik Güssing erfolgen die Operationen hauptsächlich auf diesem Wege. Der Vorteil für die Patientinnen und Patienten: Sie sind nach der Operation wieder sehr schnell auf den Beinen. „Meistens können sie etwa bei Leisten- oder Femoralhernien am nächsten Tag wieder heimgehen“, erklärt der Primar. Bei größeren Operationen, vor allem im Bereich der Bauchdecke, müssen die Patientinnen und Patienten mit einigen Tagen Aufenthalt in der Klinik rechnen. Der Grund: eine größere Wundfläche mit der Gefahr von Nachblutungen sowie die Verwendung von Netzen mit einer Größe von bis zu von 30 mal 30 Zentimetern, die in den Bauchraum eingebracht werden.

Gut verträgliche Netze

Man unterscheidet zwischen synthetischen Netzen und biologischen Netzen. Vernarbungen an den Netzen gibt es kaum noch. Früher wurden speziell beschichtete Netze in den Bauchraum eingebracht. „Hier ist es natürlich ab und zu Verklebungen, Adhäsionen, massiven Darmbeschwerden bis zu Ileusbeschwerden (Anmerkung: Krämpfen) gekommen. Diese Operationen sind aber weit in den Hintergrund gerückt“, versichert der Experte.

Die biologischen Netze bestehen meist aus Zuckermolekülen. Sie lösen sich innerhalb verschiedener Zeiträume auf. Manche rascher als andere. Es gibt auch Netze die gemischt mit Kunststoffnetzen sind. Solche Netze haben eine Verweildauer von mehreren Monaten bis mehrere Jahre. „Die Verträglichkeit ist perfekt. Es gibt natürlich immer Ausreißer, aber in den letzten Jahren ist mir kein Fall bekannt, wo Probleme aufgetreten wären.“

Ist die Prävention von Hernien möglich?

„Hernien per se verhindern kann man nicht. Man kann die Wahrscheinlichkeit der Entstehung einer Hernie aber geringer halten“, weiß Primar Dr. Willhuber. Einer der wichtigsten Faktoren bei der Entstehung von Hernien ist Übergewicht. „Personen mit Übergewicht sind nicht nur außen korpulenter, sondern durch das sogenannte Bauchfett steigt auch der Druck innen.“ Physiologische Bruchlücken wie Nabel oder Leiste seien dadurch stärker belastet. Auch alle, die schwer heben müssen, Leistungssportler ebenso wie starke Raucher, oder Patienten, die an Herz-Lungen-Erkrankungen leiden und oft husten müssen haben ein höheres Risiko, eine Hernie zu bekommen. Beim Husten kommt es nämlich zu einer massiven Druckerhöhung im Bauchraum. Ebenso stärker gefährdet sind Frauen während der Schwangerschaft. Durch die Druckerhöhung im Bauch können Schwangere speziell im Nabelbereich eine Hernie ausbilden. „Meistens machen diese aber kein Problem. Den Patientinnen fällt die Hernie oft erst mit der Rückbildung der Bauchdecke auf, dann kommen sie zu einer Beratung“, so der Experte.

Wichtig sei, auf das Gewicht achten, regelmäßig Sport betreiben, Bauchmuskelübungen machen sowie eine gute ausgewogene Ernährung, damit der Druck im Bauch konstant bleibt. Sollte eine Symptomatik auftreten, am besten bei den ersten Beschwerden zum Arzt gehen.

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